November 2001


Ekkehard Faude, Rede anlässlich der Buchvorstellung (Angelica Kauffmanns Briefe) in Schwarzenberg, 24. November 2001


Im Mai vergangenen Jahres traf bei uns im Verlag das Schreiben einer Unbekannten ein, das so begann: »mit großem Interesse bin ich auf Ihre Bücher zur Bodensee-Region und neuerdings einer Ausgabe von Schweizer Briefen gestoßen. Ich habe ein Manuskript abgeschlossen, mit den gesammelten und kommentierten Briefen der in Chur geborenen und eng mit dem Bodenseegebiet verbundenen Malerin Angelica Kauffmann...«
Wir bekommen pro Tag in der normalen Post eher drei als 2 unverlangte Angebote; die Post kommt vor neun, um halb zehn ist in der Regel schon klar, dass nichts von weiterführendem Belang dabei war. Dieser Brief kam aber mit einem Exotismus-Bonus, mit dem Briefkopf der University of Iowa. Das haben wir schon mal gern. Wir hocken zwar mit unserer Verlegerei am Bodensee, 4 km südlich meiner Heimatstadt Konstanz und somit im thurgauischen Heimatkanton meiner Frau Elisabeth. Aber wir praktizieren nicht nur ehe- und verlagsmäßig das grenzüberschreitende Europa, wir haben’s zu gern auch im größeren Rahmen international. Im Programm der Libelle finden sich deshalb die Stücke, die Yasmina Reza in Paris schreibt, eine Wissenschaftssatire, die drei holländische Mathematiker verfasst haben und die Nonsenseverse des Engländers John Hulme. Unsere ältesten Erzählbücher spielen in der Mongolei. University of Iowa, sagt man sich da beim Briefaufmachen, dort lesen sie also auch unsere Bücher. So sehen wir das eigentlich gern.
Mir passierte dann gleich ein folgenschweres Missverständnis: die Briefausgabe, auf welche die fremde Literaturwissenschaftlerin anspielte, identifizierte ich flugs mit dem Briefwechsel vorarlbergischer Povenienz, den wir wenige Monate zuvor fertiggestellt hatten. Die Briefe, die Kaspar Moosbrugger von Bludenz aus mit dem Leipziger Professor Hildebrand zwischen 1869 und 1894 über das Werk von Franz Michael Felder gewechselt hatte. Sie waren über den kundigen Herausgeber Jürgen Thaler zu uns gekommen und in einer Kooperation mit dem Felder-Verein realisiert worden. Die Erweiterung unseres kulturgeschichtlichen Blicks über den Pfänder hinaus hat der Libelle damals gut getan.
Die Herausgeberin Waltraud Maierhofer aus Iowa hatte aber eigentlich andere Briefe aus unserem Programm gemeint, die Briefe der Journalistin Käthe Vordtriede, die sich vor ihren hitlerisch verhetzten Landsleuten erst ins schweizer Exil und dann nach USA gerettet hatte. Die Briefe einer Frau, die in ihrem journalistischen Beruf sehr erfolgreich gewesen war, und die im Gegensatz zu Angelika Kauffmann nicht freiwillig im Ausland blieb.
Noch eigentlicher, so erzählte sie mir Frau Maierhofer ein Jahr später, als unser Buchprojekt schon in die Endphase ging und wir uns zum ersten Mal trafen, hatte sie gemeint: Libelle war ihr aufgefallen, weil es immer wenige Verlage gibt, die es überhaupt noch wagen, die praktisch unverkäufliche Buchsorte »Briefsammlung« zu pflegen. Dort, so dachte sie, wäre ja wohl noch am ehesten zu hoffen.
Man sieht andererseits, wie produktiv kleine Missverständnisse werden können. Meine erste kleine schiefe Assoziation bei der Begegnung mit diesem Projekt hat einen stillen Richtungsweiser nach Vorarlberg aufgezeigt: tatsächlich ist das merkantil chancenlose Projekt dann überhaupt nur ermöglicht worden durch die das fördernde Interesse zwischen Bregenz und Schwarzenberg.
Eigentlich wäre ich mit meinem Thema nun schon zu Ende: Sie wissen bereits wie der Weg vom Manuskript zum fertigen Druckwerk verläuft. Man schreibt einen Brief aus Iowa, bietet ein Manuskript an und 15 Monate später ist das Buch fertig, 552 Seiten, über 1 Kilo schwer. Dazwischen kommt mal der ganze Text via Internet über den Atlantik, es werden auch Faxe gewechselt, Briefe und Telefonate. Angelica Kauffmann, die in Rom 19 Tage auf einen Brief aus Weimar warten musste, die sich darüber beklagte, dass die Post aus dem ferneren London fast gleich schnell war, und deren sorgsam verpackte Bilder viele Monate quer durch Europa unterwegs waren (sie hat penibel die Verpackungskosten und die Transportwege notiert!), Angelica Kauffmann hat von einer solch leichten Kommunikation nicht einmal träumen können.
Wir werden dafür immer ungeduldiger in unserer global vernetzten Echtzeit: In der wirklich heißen Endphase zum August hin gab‘s für die Herausgeberin kaum noch ein Entkommen vor unseren vorletzten und letzten Rückfragen wegen Jahresdaten oder spezieller Schreibweisen..., wir wollten ja ganz sicher gehen, wollten den exakten Wortlaut und alles möglichst fehlerlos abbilden. Zum allerersten mal überhaupt und auf die umfänglichste Weise sollten die Briefe dieser Frau ja auf ihre Nachwelt kommen, ohne kosmetisch verändernde Eingriffe. Buchstabengetreu ihr von keiner Duden-Reform eingeengtes Deutsch samt seinen alemannischen Tönungen (natürlich muss es der Butter heißen..., wenn die Kühe im »vatterland« weiden!). Auch die englischen, italienischen und französischen sprachlichen Wildwüchse dieser Weltgewandten sollten zu lesen sein.
Wir sind hier unversehens beim wichtigsten Punkt des Unternehmens. Das ist ein archivalischer Punkt mit einem eigentlichen Kulturpolitikum. Auf dem Weg vom Manuskript zum fertigen Buch liegt ja eine Hürde, die genommen werden muss, die Schwelle zu einer inhaltlichen Passung zu unserem eigenwilligen Programm. Dass Frau Maierhofers Projekt zu uns passte, dass wir’s angingen, bevor wir uns dann um den nötigen finanziellen Rückhalt kümmerten, lag offen gestanden vor allem an der Stimme dieser Frau Angelica Kauffmann. Wir haben jedes Jahr Mühe, in unserem Programm die Hälfte der Welt, die aus Frauen besteht, in qualitätsvollen Beispielen abzubilden. Das wollen wir aber. Es werden uns jedoch überwiegend Stoffe von Männern und über männliche Produktivität angeboten, kulturgeschichtlich ist das die verheerende und ganz und gar nicht natürliche Folge der systematischen Abdrängung der Frauen und der weiblicher Produktivität im christlichen Abendland. Wir werden noch lange brauchen, um diesen von männlicher Gesellschaftsmacht verursachten Schaden zu reparieren. Und so lange ist ein Projekt wie dieses, das an einem hervorragenden kulturgeschichtlichen Beispiel möglichst alles noch Auffindbare zu bewahren versucht, gerechtfertigt gegen alle möglichen Einwände. Ich warte ja nur darauf, dass sich Rezensentenstimmen erheben, die daran herumnölen: also diese italienischen Briefe an die Faustina sind doch langweilig, die wiederholen sich doch dauernd in einem Muster. Man wird dagegen halten können: Was uns da als Wiederholung oder auch als steril vorkommen mag, hat sich in einer sozialen Wirklichkeit abgerieben, die für beide Frauen unterschiedlich anstrengender war als für die Mänenr damals: Angelica in ihrem werkbesessenen Fleiß und auch im Völlegefühl einer geglückten, in Maßen freien Künstlerschaft, die ihre Briefe meist in beruflichem Kontext schrieb. Und Faustina, die ihren Beruf als Performerin zugunsten der traditionellen Rolle der Ehefrau und Mutter aufgegeben hatte und dennoch den Kontakt zur Augenzeugin ihrer früheren Künstlerschaft nicht aufgeben mochte.

Meine Damen und Herrn: diese Briefe sind ja nicht einfach, sie sind aufgrund ihres internationalen Adressatenkreises uneinheitlich und sie sind vielfach auch spröde. Daraus wird kein Bestseller, das war von Anfang an klar.
Aber diese immer wieder auch überraschend detaillierten Briefe bewahren für den, der geduldig liest, facettenreich die Reflexe eines Lebens, das diese Frau in singulärer Weise gemeistert hat. Sie zeigen, wie sie sich gesellschaftlich umsichtig den Zwängen der Zeit beugte und bei all ihrer weltanschaulichen Konformität sich tapfer einen eigenen Weg geleistet hat: in diesem Punkt ist Angelica Kauffmann von der hoch konservativen und doch geheimnisvoll eigenwilligen katholischen Single-Frau, die zwei Generationen später gelebt hat, gar nicht so weit entfernt. Ich meine Annette von Droste-Hülshoff.

Wir haben diese Briefe und Frau Maierhofers wissenschaftliche Sammelarbeit vieler Jahre gern zum Buch gemacht. Natürlich fiel uns die Entscheidung schon deswegen leicht, weil da eine ausgewiesene Spezialistin geforscht hatte. Die kleinen Geplänkel von weiterher, die sich daraus von ergaben, dass da eine Literaturwissenschaftlerin in ein Gebiet gedrungen war, das sich bisher Kunstwissenschaftlerinnen als kulturhistorischen Erbhof reservieren wollten, haben wir abgefedert. Im Impressum ist freilich auch der Nachwelt überliefert, wem dieses riskant umfangreiche Projekt keine Unterstützung wert war.

Neben all diesen offiziellen Gründen, mit denen sich eine Vernissagerede komfortabel ausstaffieren lässt, gibt’s dann noch einen höchst privaten. Den möchte ich Ihnen nicht vorenthalten. Die Verlegerei, so wie wir sie machen, ist unter anderem ein Traumberuf, weil wir es uns leisten, nur Projekte anzugehen, die uns selber auch wirklich interessieren. Jedes Buch wird so für uns zu einem zeitlich begrenzten Crashkurs in Spezialwissenschaften, wir müssen uns möglichst umfassend informieren, um dem Buch dann auch seine optimale Gestalt zu geben. Ein ständiges lustvolles Lernen. Was Angelica Kauffmann angeht, waren wir ganz ungebildet. Ach herrlich, haben wir uns da gesagt: machen wir ein Jahr nebenbei Kunstsoziologie des 18. Jahrhunderts, versuchen wir die Näherung an eine wirklich europäisch agierende Künstlerin, schauen wir mal von Rom her auf die Bodenseegegend zurück. Ich las da parallel unter anderem gerade die neue Biographie über Samuel Beckett, und als ich an die seltsame Szene kam, wie der junge Beckett bei seinem längeren Aufenthalt in Hamburg 1938 am ersten Tag schon das Grab eines Dichters aufsucht, an dem ich ihn zuletzt vermutet hätte, Klopstocks Grab nämlich, da waren wir gerade im Korrekturgang jener Briefe, in denen 150 Jahre vorher Angelica Kauffmann aus London dem gefeierten Dichter Klopstock sachte dessen großen Wunsch ausschlägt, eine Bebilderung des »Messias« zu bearbeiten. Um die Niederungen der Fleißarbeit in diesem Geschäft durchzuhalten, die Buchstabenfuchserei, die Zahlenteufel, die digitalen Verschiebungen bei der Seitengestaltung am brennenden Bildschirm, braucht es die Illuminationen vom Inhalt her. In diesen Briefen, in den Erläuterungen der Herausgeberin, steckte genug für uns. Und deshalb waren wir dann auch sicher, dass aus diesem Lesestoff für ein paar hundert oder ein paar tausend andere Zeitgenossen eine ähnliche Faszination erwachsen würde.
Dass die Sammlung wegen der anschaulichsten, soziologisch und psychologisch interessantesten Briefe, die der vorarlbergischen Verwandschaft galten, dann auch noch zu unseren Büchern einer grenzüberschreitenden Kulturregion passten, also zu Arno Borsts »Ritte über den Bodensee« und Manfred Boschs »Bohème am Bodensee«, das ist ein Glücksfall besonderer Art.
Und es ist ja schon gesagt worden. Eine Bodensee-Connexion hat überhaupt erst den Übergang der digitalen Daten auf kostbares Papier ermöglicht. Wir wollen bei Libelle ja keine akademischen Dreihunderter-Auflagen zu astronomischen Preisen machen, die in den Archiven versickern; sondern versuchen Institutionen zu finden, die Verwendung für Bücher haben und so eine Stückzahl auf beständigem Papier ermöglichen. Bücher, die dann auch unter die Leute kommen. Bücher, die einen Stoff bewahren, der für manchen vielleicht erst nach Jahren seine Bedeutung bekommt. Manches der Brief-Originale, das im 19. Jahrhundert noch fassbar war, ist inzwischen verschollen. Nun, ganz egal welches Schicksal die Originalbriefe haben werden: nach dieser Sammlung ist für eine nicht absehbare Zeit mit diesen Büchern bewahrt, was derzeit überhaupt aus Angelica Kauffmanns Feder bekannt ist.
Als Jürgen Thaler vor einem guten Jahr für den Felder-Verein signalisierte, dass die Briefe als Jahresgabe in Betracht kommen würden, sahen wir bereits Land. Und die freundliche Hilfen aus Schwarzenberg, vor allem durch Herrn Bürgermeister Greber, durch die Schubertiade und die Vorarlberger Landesregierung aus Bregenz hat uns dann ans Ufer gebracht, an dem das Buch nun heute abend endlich anmacht.
Ich danke Ihnen.

© Libelle Verlag, 2001