Ekkehard Faude, Matthias Holländer
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»Matthias Holländer – das Licht der Dinge«

Laudatio von Ekkehard Faude zur Eröffnung der Ausstellung von Matthias Holländer,
Meersburg, Neues Schloss, 28. März 2003


Es ist Krieg und wir schauen ruhige, schöne Bilder an. Diese schlimme Gleichzeitigkeit ist nicht neu. Ob ein Gespräch über Bäume ein Verbrechen sei, wird in solchen Zeiten gefragt. Auch als die Bomben geografisch näher fielen, erst von Deutschland aus, dann von den Alliierten zurück, haben sich Menschen an Bildern erfreut, getröstet oder sie wie eine Utopie fest gehalten. Breughels »Sturz des Ikarus« zum Beispiel war in den Jahren des 2. Weltkriegs das Lieblingsbild von vielen wacheren Europäern, die sich lieber in einer ruhigeren Zeit gesehen hätten..
Jene schöne, friedliche Landschaft, mit dem Jüngling Ikarus, der aus der Höhe stürzt und fernab ins Meer fällt. Thea Sternheim hatte es noch in ihrer Berliner Wohnung, die sie 1932 wegen der beginnenden Naziseuche aufgab, sie nahm es mit nach Paris. Als der Maler Richard Oelze sie ein paar Jahre später dort besuchte, stand er bewundernd vor diesem Bild. Iris Murdoch, die Engländerin, hat sich den »Sturz des Ikarus« 1945 in ihr Zimmer gehängt, als sie bei den United Nations in Brüssel für die Überwindung der Kriegsfolgen arbeitete.
Und ein paar Monate vor Kriegsausbruch hatte sich W. H. Auden in einem seiner eindrucksvollsten Gedichte an die Ausdeutung dieses Bildes gemacht. Eine Meditation in sanfter Stimmlage, er nannte sie nach jenem Museum, in dem Thea Sternheim und Iris Murdoch, ohne von einander zu wissen, ihre Bilddrucke fanden: »Musée des Beaux Arts«. Das Gedicht beginnt mit den Worten: »About suffering, they were never wrong, the Old Masters. How well they understood its human position…« und Auden beschreibt dieses erfahrungssatte Wissen der Menschen in alter Zeit und der alten Meister: dass dicht neben dem Entsetzlichen, dem Absturz, der Folter, das alltägliche Spiel einfach weiter geht, - Arbeit, Freude am Leben, Ablenkung. »In Brueghels Icarus for instance, how everything turns away quite leisurely from the disaster«... der Bauer, der seine Furchen weiterzieht, das Schiff auf dem Meer, unter gutem Wind segelnd, nicht weit vom Aufschrei und vom Sturz . Der Mythos, den Breughel ganz an den Rand gerückt hat, wird alle paar Jahrhunderte anders erzählt. Ikarus, der Sohn, der höher hinaus will. Ikarus, Sohn jenes Künstlers, der das Menschenunmögliche wollte. Vielleicht bleibt irgendwann noch, aus ganz anderem, ganz fremdem Blick heraus: der Absturz eines stupid white man, ein Ende abseits, nach dem Wahn von der globalen Lufthoheit.

Heute Abend wollen wir uns also, in einer friedlichen Landschaft, an schönem Ort an der Malkunst von Matthias Holländer erfreuen und uns wieder mal das Staunen holen, über Bilder, die auch diese wirren Zeiten überdauern werden. Eine Einleitung mit der Anrufung Breughels hat sich für mich auch aus anderem Grund leicht ergeben: Als ich Holländer vor einer Wienfahrt anrief und fragte: Wir haben drei Tage, was sollen wir denn anschauen…?, - er hatte ja immerhin dort jahrelang gelebt und studiert, die Motivik von Wiener Glasarchitekturen lässt ihn nicht mehr los -: da sagte er sofort: Ihr müsst unbedingt in den Breughel-Saal!
Das war nicht weiter verwunderlich, dieser Maler hat unter anderem bei den alten Meistern gelernt: aus den Relationen, mit denen sie ihr ganz anderes Natur-, Licht- und Menschenverständnis inszenierten, im Mythenraum ihrer farbigen Täuschungsarbeit. Ihr Respekt vor den Einzelheiten und ihre Listen, die sie in ihrer Mimesis entwickelten. Adolf Muschg hat in seinem schönen Text zum Katalog »Das Licht der Dinge« das Erfahrungswissen dieses Malers und seine eigensinnige Auseinandersetzung mit der Kunstgeschichte so definiert: »Holländer gehört zu denen, die diese Referenzen mitnehmen. Er hält Moderne nicht mehr für ein Dogma, und will darum nicht der postmodernen Leichtigkeit des Seins verfallen. Seine Bilder wissen noch viel vom Vanitas-Diskurs barocker Stilleben; von dem als Naturbilder getarnten Bildraum der Impressionisten, von den Interieurs der Großen amerikanischen Depression. Es gehört Métier dazu, diese Erinnerungen mitzumalen.«

Wir haben es mit einem Maler zu tun, der vor und nach allem Handwerk glücklicherweise viel weiß. Einer der das intellektuelle Vergnügen zugibt, das ihm Kunstgeschichte und evolutionäre Erkenntnistheorie bereiten. Also lesen wir in einem seiner Texte seine Faszination darüber: dass selbst unsere Farbwahrnehmung historisch veränderbar ist, dass wir seit den klassischen Griechen zum Beispiel unsere Farbe Blau neu aus der Dunkelheit herausdifferenziert haben; und wie dann wiederum jeder von uns seine höchst eigentümlich verankerte Kalibrierung beim Farbensehen mitbringt, aus Physis und Lebensgeschichte gewichtet.
Holänder ist auch ein Maler, der auf die technischen Verlängerungen der menschlichen Reichweite neugierig bleibt. Das führte, nur als Beispiel, in der letzten Zeit zur Stilllegung seines Fotolabors, jener chemischen Hexenküche, in der er all die Jahre die Vorlagen für seine Malwerke bearbeitet hat, in Entwicklern und Wässern und auf Papiersorten. Wenn er von seinem Verzicht auf Fotochemie und dann von den neuen Möglichkeiten digitaler Bildbearbeitung erzählt, wenn er auf das eigentlich endlose Manipulations- und Gestaltungsfeld der Datenmengen zu sprechen kommt, in dem sich die optische Erfassung der Außenwelt zwischenlagern lässt, dann blitzt die reine Spielfreude bei ihm auf. Der Mann ist aber ein Spieler, der die Kontrolle immer neu schafft.
Die Entscheidung zum Spielabbruch findet inzwischen also am Monitor statt. Dort entsteht jenes künstlerische Zwischenprodukt, nach dessen Projektion auf den Malgrund er dann das endgültige Bild beginnt. Eine Meditationsarbeit aus Farbauftrag, Farbreduktion, dem Malen und dem Schleifen, das viele Monate dauern wird und in der er sich, wie er sagt »an die Grenze bringt«. Die Grenzen der Geduld, der Erschöpfung und Inspiration, die er selber sucht.
Ein cooler Könner, ohne jene falsche Bescheidenheit, unter der sich in windgeschützter Provinz zuweilen eine Hybris duckt. Aus seinen Erinnerungen an die Mühen der malerischen Ebenen, hört man manchmal Vokabeln, mit denen schon die Mystiker zu beschreiben versuchten, wie sie ihre Visionen erzwangen. Man muss nicht mehr unbedingt, wie der Bodenseeanwohner Seuse, einen Metallhandschuh mit Nägeln anfertigen lassen, um nächtelang die eigene Haut zu quälen. Man kann sich inzwischen, wie der Bodenseeanwohner Holländer, über grundierte Platten beugen, stunden- und wochenlang, in einsiedlerischer Hingebung, bis jene feinsten malerischen Strukturen so zu oszillieren beginnen, dass sie seinem Bild vom Leuchten der Dinge entsprechen. Ein Kunstlicht, gewiss kalkuliert, aber von dem er doch weiß, dass es im Auge des unbekannten einzelnen Bilderbetrachters noch Unvordenkliches in Gang setzt. Unter anderem ist das ja ein hoch emotionaler Maler, gut getarnt, der noch über die vertrackten Titel seiner Bilder in unser Stammhirn hinein zielt.

Zwischen-Aperçu: speziell für den Künstler in seinem Wechselbad der Gefühle einer Vernissagerede: Wenn mir jemand die Wahl ließe zwischen einem Breughel und einem Holländer, dann würd ich natürlich den Breughel nehmen…, und den ganz schnell in eine Auktion tragen, auf den Marktplatz der hoch geputschten fiktionalen Werte. Und von dem Erlös würde ich mir endlich meine 12 Lieblings-Holländer kaufen. Einige sind in dieser Ausstellung nicht mehr zu sehen, die Retrospektive gibt es nur in seinem Buch. Also zum Beispiel: Das abwartende Licht in seinem »Bericht an eine Akademie« von 1987. Den diffusen Glanz auf der Metallhaut der »Black Box« von 1989. Die sich auflösende Wand in der Londoner »Kontinentalverschiebung« 1988. Den »Kondensator« und sein vergittertes Eislicht von 1987. Die matt beschienen Risse im Bollwerk von »Exit« (1993), nur zum Beispiel. Von den Neueren und hier gezeigten gewiss am liebsten das rätselhaft und hermetisch in ein Dunkel gesetzte Leuchten, das er »Das letzte seiner Art« nennt.
Wie viele Maler gibt es eigentlich, von denen man aus drei Jahrzehnten Bilder kaufen möchte?

Damit Sie nun nicht allzu lange warten müssen, will ich nur noch wenige Worte zwischen Ihre Blicke und die Bilder stellen.

Matthias Holländer ist einer, der seine Distanz gern über Vergleiche zu evolutionären Zeiträumen gewinnt. Viele seiner Bilder spielen mit Begriffen der Naturgeschichte, der Mensch ist da bestenfalls eines der Knochengerüste unter anderen fossilen Resten. Besonders gern spielt er mit der ambivalenten Mischung aus Witz und Melancholie, die sich in den Sackgassen der Evolution entfaltet:
Wenn er, wie heute in dem Bild »En Bloc«, einen Quastenflosser ins Licht rückt, eine Tierausbildung, die von der Evolution aufgegeben wurde, und nun zum Zweck der musealen Präsentation sogar noch in einen doppelten Block eingeschlossen.
Wenn er, wie auf dem Motiv der Einladung, offensichtlich längst aufgegebene Schuhe malt, die von Moos und Waldwuchs vereinnahmt werden, ein Stillleben aus Menschenzubehör und dumpf oder auch munter weiter schreitender Biologie.
Die Schädel in Vitrinen, die Tiere hinter Glas, deren Flucht aus der Geschichte immer noch nicht zu Ende ist. Der Menschentod als »Private Dancer« hinter den Lichtfängen eines schön polierten Gehäuses.

Irgendwann, wenn er so anerkannt sein wird, wie wir uns das wünschen, also: wenn seine Sicht der Dinge und die performance seines Handwerks, diese unübersehbare und so beeindruckende Malerei, auch im größeren Pattern der Kunst unserer Zeit gesehen werden. Dann wird auch hoffentlich einer kommen und den Aspekt der Gewalt herausarbeiten, die dieser sanfte Mensch so produktiv einsetzt. Holländer hat immer wieder den Blick für die aufgestaute Gewalt in Szenerien der Gegenwart. Und in manchen Bildern ist es, als ob er durch den schön gemalten Schein eine Heilung versuchte, von der wir ahnen, dass sie keine sein kann.
Die Armstütze aus Leder, die er auf einer Straße in Basel findet, ist aus einer Apparatur gerissen, deren zerstörten Kontext sie mitführt.
Das Paar Schuhe, das er beim Waldspaziergang findet, kann Dingspur einer Lust oder Relikt eines Verbrechens sein (na ja: zugegebenermaßen kann es auch ein beim Picknick schlicht vergessenes Schuhpaar, aber so was passt nicht in diese Theorie…), Holländer erzählt dann, dass er die Schuhe erstmal noch liegen lässt, den zufälligen Zersetzungsprozess der Biomaschine, aus Nässe, Kälte, Schimmel, Fäulnis noch weiter provozieren will für das Bild, das er sich gern machen möchte vom Ende der Dinge. Und dass er, Monate später, die Schuhe nicht wieder findet am erinnerten Ort, erst nach längerem Suchen findet er sie, weit weg, und umgeben von Wildschweinfährten. Er erzählt das amüsiert, fast hätte die Natur ihm sein Objekt noch entrissen. Nun aber entführt er die Lederschuhe aus diesem Renaturierungsprozess, dieser sanften Vermoosung. Wenn wir sein Bild »Leise Sohlen« nun ansehen, gemalt in diesem Jahr, kann im Abbild des gestoppten Verrottens auch aufscheinen: ein fixiertes Entsetzen.
Das könnte überhaupt eine seiner Obsessionen sein: diese Relikte, in denen menschliches Fleisch und Blut Schutz suchten, aber der Warmblüterinhalt ist verschwunden und alle Konnotationen der Werkelwelt mit ihnen. Da sind nur noch Dinge übrig: endlich zweckfrei, endlich ohne Sinnzuschreibun, endlich nur noch dem registrierenden Blick gegenüber. Das war schon auf einem Motivvorgänger der »Leisen Sohlen« zu sehen, den er 1993 »Wurzellos« genannt hat: zwei ins Unnütze verschlissene Handschuhe, wie kraftlos nach dem Versuch sich in den Boden zu wühlen, alles wie im kalten Glanz einer finalen Katastrophe.
Dieses Medusenlicht, zu dem er gelangt, wenn er sich der aufgegebenen Dinge annimmt. Das er herausfiltert aus Einzelheiten, ausgebrochen aus ihrem längst zerstörten Gefüge, übrig geblieben in einer wie unbelebten Welt: da kommt noch Licht von Sternen, aber die Sonne ist vermutlich bereits erkaltet.
Matthias Holländer erzählt, wenn er vom Entstehen eines Bildes spricht, ja nicht nur vom zufälligen Fund eines Dinges, das er sich greift, das er zum Ready Made ernennt und doch damit erst zum Gegenstand seiner Kunst macht. Er erzählt auch von einer nachfolgenden peinlichen Befragung, der er seine Kunstgegenstände unterwirft: wie er einen Granatapfel zerschneidet und die dünne Scheibe mit einem Projektor her durchblendet, eine künstliche Erleuchtung des malträtierten organischen Rests, dieses gewaltsam arrangierte Geständnis fotografiert er dann, und erst das wird Vorwand der Umsetzungsarbeit, seiner Neuerfindung mit seinen mönchischen Handfertigkeiten und der Geduld seines Meditationswillens: Mit Öl und Acryl auf einer Dibonplatte aus Alu und Kunststoff.
Ein Bild von 2003 ist es. Ein gutes Signal. Der Künstler war ja in den letzten Jahren ein wenig abgetaucht in eine soziale Plastik besonderer Art, es ging um die Rettung einer alten Fabrik im Konstanzer Industriegebiet, Arbeitsräume und Ideenorte für viele Einzelunternehmer. Seine aufreibende Zeit als Hauptorganisator jener Bürgerinitiative »Neuwerk« ist bald zu Ende. Die Anstrengungen mit anderen zusammen, dieses bereits aufgegebene, zum Abriss bestimmte Immobilien-Ding zu erhalten, sind geglückt. Die neue Fassade leuchtet bereits in einem warmen Rot, passend für einen schön belebten Menschenort. Matthias Holländer hat jetzt wieder mehr Zeit für seine eigenen Bilder.

© Libelle Verlag, 2003


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