Guggenheim Museum. Courtesy Sigrid Faltin
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Sigrid Faltin: » Die Baroness und das Guggenheim«

Ekkehard Faude anläßlich der Buchvernissage von »Die Baroness und das Guggenheim«
Buchvernissage 7. April 2005, Museum für Neue Kunst, Freiburg i.Br.

Meine Damen und Herren,
eigentlich wollen wir seit wenigstens 10 Jahren schon eine Buchvorstellung in Freiburg machen. Damals schickte uns von hier aus eine unbekannte junge Autorin ihr Manuskript, die ungewöhnliche Realitätserfahrung einer Frau zwischen Erinnerung und sich verwirrender Fantasie war darin entfaltet. Katrin Seebachers »Morgen oder Abend« erschien 1996, und gerade in diesen Wochen ist ihr Buch in einer neuen Frankfurter Anthologie von FAZ-Kritikern als einer der 50 lesenswerten Romane empfohlen. Libelle und Freiburg: das ist eine gute Langzeitbeziehung, herzlich willkommen.

Wenn man lange genug einen Verlag macht, kommt es zuweilen zu der Konstellation, dass eine früh terminierte Buchvorstellung in unvermuteten welthistorischen Kontext gerät. Der Unterschied zwischen einem vernissagewilligen Verleger und einem, sagen wir: heiratswilligen Thronfolger besteht dann darin, dass nur letzterer seine Veranstaltung verschiebt. Wir hatten schon mal 4 Tage nach Nine-Eleven die Vorstellung eines Libelle-Buchs. Mit den Medienbildern der einstürzenden Twintowers im Hinterkopf brachten wir damals in Luzern eine Geschichte in Umlauf, in der dem Maler Hieronymus eine Figur aus dem Bild flüchtet, die eigentlich ein Selbstporträt ist. Eine Geschichte übrigens, geschrieben von einem Maler, der lange hier in Freiburg lebte: Peter Stobbe.
Heute, in diesen merkwürdigen Tagen, da die Lufthansa für die Strecke nach Rom das Wort »Beerdigungsshuttle« in Umlauf bringt und uns eine Bilderflut umgibt, in der mit avanciertester Medientechnik das Fortdauern einer jahrtausendalten Männerdominanz suggeriert wird, begrüßen WIR-hier die Lebensgeschichte einer Frau, die vor bald 40 Jahren ziemlich unbeachtet gestorben ist. Ihre große Zeit war damals schon lange vorbei. Sie starb in den USA, wollte aber in der Freiburger Gegend begraben werden. Das ist damals so auch geschehen. Ein kleines Begräbnis.
Mit den Bildern vom Ende aber ist die Bedeutung eines Lebens nicht festgeschrieben. Darf ich das ganz unpassend autobiografisch verdeutlichen? Ich erinnere mich an einen evangelischen Zwölfjährigen, der tief beeindruckt war von der öffentlich inszenierten Trauer um einen Papst, Pius den XII., den es immer gegeben hatte. Die Präsenz dieses fernen Papstes war eine der fraglos stabilen Koordinaten gewesen.
Dass er der größte Papst seines Jahrhunderts sei, schien eine feststehende Wahrheit. Es dauerte dann nur 5 Jahre und es brauchte nicht mehr als das Bühnenstück eines jungen Aufklärers namens Rolf Hochhuth, und ein Schattenriss des Verdrängten und Verschwiegenen veränderte die historische Einschätzung jenes Papstes. Das gehört zur Äquilibristik von Gerechtigkeit im alten Europa: dass von Autoren der so genannten schönen Künste immer wieder überraschend und viel wirkungsvoller als von akademischer Geschichtsschreibung die Scheinwerfer auf die Standbilder der Macht neu eingestellt werden. Da schrumpft manches, was in den Pompes funèbres statuarisch aussah. Und einiges zu Lebzeiten Niedergemachte hat die Chance, im kollektiven Gedächtnis dann doch noch anzukommen. Geschichtsschreibung ist machbar, Frau Nachbarin.
Das Veränderbare am Kanon unserer erinnernden Aufmerksamkeit. Eine Wiedergutmachung wenigstens im Diskurs. Das Ausfindigmachen von Spielarten eines Lebensmutes, der mal als politische Courage sich zeigt oder auch als die spielerische Zielstrebigkeit einer Avantgarde in Malerei. Überführt und gestaltet in einen Lesestoff, aus dem die Zuversicht ihren Treibstoff beziehen kann: dass es sich lohnt etwas zu wagen, noch wo die Horizonte vernagelt erscheinen. Das alles gehört, ich gestehe es offen, zum wirklichen Kitzel dieser Verlegerei.

Und so kommt es denn heute zur Vorstellung eines Buchs, das mit einem Telefonat vor drei Jahren begann. Die Stimme kannte ich, Sigrid Faltin, sie klingt schon am Telefon sehr entschieden. Und wie entschieden und kundig sie sich eines Stoffes bemächtigen kann, um ihn in ins Filmische zu übersetzen, hatten wir um die Jahrtausendwende erlebt. Damals hat Frau Faltin in den Briefen und der Autobiographie der Käthe Vordtriede die historischen Mosaiksteine gefunden, die sie zu einem eindrücklichen Fernseh-Feature motivierten. Es ging schon da um die Wiederentdeckung einer Frau, deren Lebensleistung mit der Freiburger Region verknüpft war. Manfred Bosch hatte die Texte dieser völlig in Vergessenheit geratenen Journalistin Vordtriede aus dem Marbacher Archiv befreit, und 1998 und 1999 war dieser heftige, kluge und menschlich aufrechte Originalton einer weitsichtigen Kommunistin jeweils die wichtigste Novität bei Libelle gewesen, eine unverwechselbare Alltagsprosa aus dem Freiburg der dunkleren Dreißigerjahre.

Sigrid Faltin hat in ihrem Film die Geschichte um Käthe Vordtriede dann bis ins New Yorker Exil verfolgt. Es war diese Konstellation, die es mir leicht machte, vorab schon einmal die Lauscher zu stellen, als ihr Anruf kam, in dem sie von ihrem ganz neuen Stoff erzählte: der Geschichte einer deutschen Generalstochter, die Malerin wurde, und aus der Freiburger Gegend nach New York auswanderte, dort an der Seite von Solomon Guggenheim das berühmte Museum baute, danach aus der öffentlichen Wahrnehmung fiel, und die sich schließlich in Teningen begraben ließ.
Zudem erreichte uns dieses Thema in einer empfänglichen Phase. Das Vordtriede-Projekt im Verlag sollte im Jahr 2002 eben zu einem Abschluss kommen und zwar mit der Edition des Tagebuchs, das Käthe Vordtriedes Sohn, der nachmals berühmte Literaturwissenschaftler, in seinem nordamerikanischen Exil geschrieben hat. Werner Vordtriede war nach seinem Freiburger Abitur ins Ausland gegangen, 1938 dann in die USA. Wie befremdlich dem Mittzwanziger dieses Land erschienen war, das ihn vor der deutschen Barbarei rettete, ihn aber auch mit einer anderen Form des Antisemitismus konfrontierte, das lasen wir damals gerade in den Korrekturfahnen. Es konnte reizvoll werden, diese ganz andere Sicht ins Programm zu bekommen: die einer mittdreißigjährigen Frau, die freiwillig ausgewandert war, weil sie in New York einen besseren Markt erwartete für ihre Kunstform der Porträtmalerei.
Dass dieses Thema von einer Autorin angegangen wurde, die schon seit ihrer Dissertation über deutsche Auswanderer in den USA den unterschiedlichen Formen eines transatlantischen Austauschs nachging: das wirkte wie ein Gegengewicht zum dezidierten Vorsatz Sigrid Faltins, diese Frauengeschichte betont unakademisch anzugehen. Sie wolle erzählen: denn mit dem Leben dieser Hilla von Rebay sei ja eine wirklich ungewöhnliche Story freizulegen. Soll ich an dieser Stelle so nebenbei erwähnen, so diskret, dass es kaum auffällt: dass vor 2 Wochen im SPIEGEL in jenem überaus favorablen Bericht genau dies öffentlich attestiert wurde: »ein sehr unterhaltsames Buch«?
Man denkt beim Verlegen von biografischen Büchern, um sich von den Mühen der Ebenen abzulenken, zuweilen gern das Mögliche aus, das nicht zustande kam. Zwiegespräche in einem Geisterreich, das Gewisper aus den bedruckten Seiten über verpasste Treffen im irdischen Raum. Hier in Freiburg ist das Pflaster dafür.
Diese Hilla von Rebay hätte schon in den mittleren 20er-Jahren im Breisgau Käthe Vordtriede begegnen können, aber die beiden Frauen hätten sich, so fürchte ich, wenig zu sagen gehabt.
Die Tochter aus einem rechtskonservativen Milieu, das dann rasch in die Hitlerei driftete, hätte den hellsichtigen Faschismus-Analysen der Wahlkämpferin Vordtriede auf dem linken Flügel der SPD wohl keinen Glauben geschenkt. Und der eher biedere Kunstgeschmack der Journalistin war weltenfern von den künstlerischen Erfahrungen, die Hilla von Rebay damals schon mit Hans Arp in Zürich, Max Ernst in Köln und den Bildern Kandinskys in der Berliner Galerie »Sturm« gemacht hatte.

Eine andere Weise der unverträglichen Weltorientierungen hätten Hilla von Rebay und Werner Vordtriede in den frühen 40er-Jahren in New York austauschen können. Vordtriede ging da aber, wenn er seine weit gespannten Lektüren schon einmal unterbrach, ins Museum of Modern Art, nicht in Guggenheims Ausstellungsräume. Seine Bewunderung reichte auch allenfalls bis zu den Kubisten und Klee. Abstrakte wie Kandinsky, Mondrian oder Moholy-Nagy kommen bei ihm nicht vor. Am strengen Kunstgeschmack der Hilla Rebay hätte er sowenig Anknüpfungspunkte gehabt wie sie, wenn er aus seinen literarischen Vorlieben des George-Kreises zitiert hätte. Was der junge Vordtriede andererseits 1940 mit wachsender Empörung aus den Zeitungen herauslas, nämlich die ungebremste Gier des US-Großkapitals auf Kriegsgewinne und Ausweitung der ökonomischen Weltherrschaft, hat die Baroness schwerlich interessieren können: Sie bedauerte den Krieg vor allem, weil er für viele Jahre ihre Reisen nach Paris und London unmöglich machte, wo sie sonst direkt in den Ateliers der Künstler eingekauft hatte. Während sich der junge Literat Vordtriede in seine Identitätssuche im fremden Land verspann, kümmerte sich die extravertierte Kunstvermittlerin Rebay mit einer bewundernswerten Stetigkeit ihrer Dollarschecks um bedrängte Künstler in Europa.

Es gab aber Bereiche, in denen sie sich sehr wohl verstanden hätten.
Nicht nur waren sie beide vom FBI ausspioniert worden als verdächtige Deutsche – bei Hilla Rebay ging das bis zu Verhaftung und Hausdurchsuchung. Vor allem hatten beide ihre ganz praktischen Erfahrungen mit Angst, Hoffnung und Lebensaufwand bei der Rettung von Nazi-Verfolgten.
Hilla von Rebay hat 1939 ihren Lebensgefährten Rudolf Bauer aus Berlin geholt und einem Jugendfreund, dem Filmavantgardisten Hans Richter, ins Exil verholfen. Werner Vordtriede gelang es 1940, eine Einreise für seine im Schweizer Exil bedrängte Mutter Käthe zu bewerkstelligen.

Meine Damen und Herren, von diesen nicht zustande gekommenen Begegnungen hatte ich natürlich keine Ahnung, als Sigrid Faltin uns ihr ungeschriebenes Buch anbot. Das war ja überhaupt höchst ungewöhnlich, ihre Vorgehensweise. Wir entscheiden uns normalerweise nur überm Augenschein fertig geschriebener Manuskripte. Auftragsverlegerei, das Formulieren eines Produkts womöglich noch für ein Marktsegment, ist eine Sparte, die uns nicht reizt. Wenn es ein Marktsegment »Wiederentdeckung unterschätzter Frauen« überhaupt gibt, so unterliegt es einer unkalkulierbaren Tagesform von Redaktionsbesetzern. Ich habe dieser Tage aus zwei angesehen Redaktionen zu hören bekommen, Hilla von Rebay sei kein Thema für größere Besprechungen, das sei ja leider »eine tote Frau«.
Für die Filmemacherin Faltin wiederum war damals eine Festlegung im Stadium des Exposés wohl das Normale. Ich habe einige Zeit gebraucht, um das einzusehen und mich in dieser Wartezeit auf den fertigen Text hin auch damit beruhigt, dass mehrere filmende & schreibende Doppelbegabungen ja zu meinen Favorits gehören, Alexander Kluge, Leon de Winter, Doris Dörrie, Helke Sanders… Man staunt jeweils, wie der filmisch perspektivierte Blick und die eigene Ökonomie der Schnitte die so unterschiedlichen literarischen Texte formt.
Zudem: was Sigrid Faltin vorhatte, zuerst den Film über diese Hilla von Rebay zu drehen, und dann das Buch zu schreiben, klang ja arbeitstechnisch sinnvoll. Tatsächlich wurden die zahlreichen Interviews mit Zeitgenossen der Hilla, die die Autorin in mehreren Ländern führte, eine breite Materialbasis für das Buch, im Film sind die meisten weggescnitten. Wenn Sie das Epilog-Kapitel im Buch lesen, werden Sie einigen Überachtzigjährigen begegnen, die sich noch lustvoll an Arbeitsstil, Vorlieben, Aufgeregtheiten und die heftig mäandernde Zielstrebigkeit dieser Diva der abstrakten Kunst erinnern konnten. Sigrid Faltin war 35 Jahre nach dem Tod der »Queen of Art«, nebst all ihren Archivbesuchen, gerade noch rechtzeitig auf der Piste der Oral History.

Was wir nun heute vorstellen in gebundener Form, endlich gedruckt, mit 92 meistenteils unveröffentlichten Abbildungen aus dem Rebay-Archiv:
mit Fotos der 18-Jährigen Frau, die ihr Malereistudium an einer renommierten Pariser Kunstschule durchgesetzt hatte zu einer Zeit, da die säkulare Variante des verheerenden apostolischen Diktums vom Weib, das in der Gemeinde zu schweigen habe, die Frauen in Europa immer noch von staatlichen Kunstakademien ausschloss. Mit dem Foto der strahlenden 40-Jährigen neben Kandinsky im Bauhaus zu Dessau, bis zum Schnappschuss, der die schwer reiche, fast 60-jährige Kunstsammlerin in der Galerie Stangl in München zeigt, wo sie den wenigen Adepten der abstrakten Moderne den Marsch blies, öffentlich auftrumpfend, immer wieder auch schwer erträglich, aber zugleich für hunderte hilfsbedürftiger Künstler über die Nachkriegsjahre hinweg eine großzügige Versorgerin mit Carepaketen.
Wir haben dieses Buch mit Liebesbriefen von Hans Arp, der sie 1916 gern geheiratet hätte, mit bewundernden und rüffelnden Briefen des greisen Frank Lloyd Wright, der ab 1943 ihren Traum vom Museum umsetzte. Es gibt ein Register mit 400 Personen, und wenn Sie Ihre Augen über die Namen von Archipenko über Jackson Pollock bis Jack Youngermann schweifen lassen, dann wird Ihnen allein so klar, dass hier ein bislang verschwiegenes Meisterkapitel europäisch-amerikanischer Kunstbeziehungen entfaltet wird, in der Lebenserzählung dieser ungewöhnlichen Frau.
Aller Applaus für die Autorin: Sigrid Faltin.

Ekkehard Faude, Libelle Verlag, Rede zur Buchvorstellung von Sigrid Faltin „Die Baroness und das Guggenheim. Hilla Rebay – eine deutsche Künstlerin in New York“, am 7. April 2005 im Museum für Neue Kunst, Freiburg i. Br.


© Libelle Verlag, 2005



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